Hier in der Nordostschweiz waren die Novembertage wunderschön. So viel blauen Himmel und saubere, klare Luft habe ich in meiner ganzen Zeit in Deutschland zu dieser Jahreszeit noch nicht erlebt. Der Kalifornier in mir hat die Fülle an Licht und Farben im November sehr genossen.
Was im letzten Monat schwer zu genießen war, das waren die Nachrichten. Die Politik stand bei vielen Menschen, die ich hier und in den Vereinigten Staaten kenne, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Wir lesen, wir schauen, aber wir sind nicht überzeugt. Wir haben immer weniger Vertrauen in das, was uns über die Medien mitgeteilt wird. Wir sind es leid, darauf zu hoffen, dass in der Welt etwas Erfreuliches geschieht, und immer wieder enttäuscht zu werden. Dann umgeben wir uns doch lieber mit Sprach- und Videoaufnahmen von denen, die wir noch mögen und in unsere überfütterten Gehirne lassen wollen. Wir wissen, dass es schreckliche Kriege gibt, in denen Waffen eingesetzt werden, die von unseren eigenen Ländern hergestellt wurden. Wir wissen, dass es viele soziale Ungerechtigkeiten gibt und dass sie nicht weniger werden. Wir hören Droh-Parolen von aufsteigenden politischen Parteien, und es mag uns so vorkommen, als sei das alles zu schmerzhaft. Wir haben das Bedürfnis nach Beruhigung.
Aber ich glaube, den meisten von uns ist klar, dass es eine Verbindung zum Leid in fernen Ländern gibt, die wir nicht ignorieren können. Wir können viele Erklärungen für die Probleme in der Welt finden. Aber man kann mit Sicherheit sagen, dass die europäische und euro-amerikanische koloniale Denkweise im Laufe der Jahrhunderte viele schädliche Auswirkungen gehabt hat. Spuren kolonialen Denkens wie Rassismus und Diskriminierung finden sich immer noch in der Sprache und in der Einstellung vieler Menschen, auch wenn wir glauben, es besser zu meinen.
Solch starke Auswirkungen unserer Geschichte sind schwer zu bewältigen und können dazu führen, dass wir uns hilflos fühlen, wenn es darum geht, positive Veränderungen zu bewirken. Wir möchten Hass und Gewalt überwinden und etwas tun, um der Welt zu Frieden und Gelassenheit zu verhelfen. Ich versuche seit langem, meinen Weg im Umgang mit dieser Herausforderung zu finden.
In den letzten zwanzig Jahren habe ich Indien viele Male besucht. Ich habe dort viele interessante Erfahrungen gemacht, aber eine, die ich in Anbetracht dieses Themas auf alle Fälle teilen möchte, ist meine Arbeit mit Mutter Teresas Nonnen, Mönchen und Freiwilligen in Kolkata. Die drei Monate dort sind mir ganz besonders in Erinnerung geblieben, denn hier habe ich eine Arbeit gefunden, die direkt zum Kern des Themas führt.
Ich kam nach Westbengalen mit der Absicht, in Kalighat zu arbeiten, dem ursprünglichen Hospiz, das Mutter Teresa gegründet hatte, nachdem sie ihre bisherige Arbeit direkt in den Slums geleistet hatte. Mutter Teresa war fünf Jahre vor meiner Ankunft in Kolkata gestorben. Aber die Nonnen und Mönche sprachen oft von ihr, und das mit großem Respekt. Sie war nicht perfekt. Sie stritt sich mit ihren Nonnen und hatte viele Meinungsverschiedenheiten. Aber sie konnte sich immer entschuldigen, sagten sie. Und sie konnte immer die Fehler der anderen verzeihen.
Mutter Teresa war auch eine beeindruckende Arbeiterin. Mir wurde gesagt und gezeigt, welche Art von Arbeit sie gemacht hat und wie lange sie diese gemacht hat. Ihre Fähigkeit, die „Drecksarbeit“ zu machen, übertraf alles, wozu ihre späteren Nachfolger fähig waren, so sagte man mir.
Meine ersten Tage in Kalighat verbrachte ich damit, in der Küche zu putzen. Aber schon bald war ich draußen auf dem Boden bei den „Kunden“, die alle sehr dünn, sehr krank und sehr arm waren. Ich verbrachte viele Stunden damit, sie zu füttern, sie zu tragen, zu baden und sogar zu säubern. Wenn sie starben, half ich bei der Reinigung der Leichen und beim Einpacken der zurückgelassenen Körper.
Oft begleitete ich Schwester Delphine, die als einzige Frau auf der Männerstation des Krankenhauses arbeitete. Manchmal musste ich die Männer festhalten, während sie ihre Wunden versorgte. Wunden und Krankheiten, die ich mir nie hätte vorstellen können. Aber, es ging uns gut. Irgendwie machte mir diese grausame Arbeit Spaß und erfüllte mich.
Als ich durch die Straßen von Kalkutta ging, sah ich nie einen blauen Himmel. So viel Armut, so viel Verschmutzung. Aber die Augen der Menschen, die ich traf, waren nicht trübe. Sie leuchteten. Ich spürte ihre Herzen, und ich spürte, dass ein freundlicher Blick auf diese materiell so Benachteiligten ein Angebot war, das selbst Bettler als eine Unterstützung / Bereicherung? empfanden. Ihre Blicke und ihr Lächeln waren auch eine Art energetisches Geschenk, das mich mit Herz-Kraft versorgte.
Ich hatte Glück mit den Missionaries of Charity, einem männlichen Mönchsorden. Ich lebte mit ihnen, betete mit ihnen, arbeitete mit ihnen, aß mit ihnen, spielte Schach mit ihnen und meditierte sogar mit ihnen. Sie behandelten mich mit sehr viel Freundlichkeit. Als wir eines Tages in der Stadt unterwegs waren, sah ein Mönch, dass wir uns einer sehr belebten Straße näherten, und nahm meine Hand. Es fiel mir nicht leicht, diese Geste der Fürsorge über einen ganzen Kilometer hinweg anzunehmen!
Ich empfand es als ein Privileg, in Kalighat zu arbeiten und einige der schwierigsten Aufgaben zu übernehmen, die mir je begegnen sollten. Ich konnte endlich einen angemessenen Ausdruck für jene Praxis erfahren, die ich viele Jahre lang als Zen-Buddhist in Japan gelernt hatte. Und ich habe einige Dinge verstanden, die Mutter Teresa gesagt hat, und die nach meiner Erfahrung dort noch wahrer wurden.
Eine Sache, die sie sehr gut ausgedrückt hat, ist: „Liebe, bis es weh tut.“ Ich bin sicherlich an meine Grenzen gestoßen, wenn es darum ging, mich um die Menschen in Kalighat zu kümmern. Mein Körper und mein Geist brauchten Zeit, um die Menge und Schwere der Krankheiten zu verarbeiten. Aber ich konnte auch andere Mönche, Nonnen und Freiwillige beobachten. Ich gewann an Mut und Ausdauer. Die Arbeit war sehr intim. Mitgefühl konnte nicht nur als Konzept aufgefasst werden. Entweder ich konnte etwas tun oder nicht. Das hat etwas von einer Begegnung mit einem Zen-Meister.
In unserer modernen, stark auf Selbstoptimierung ausgerichteten Gesellschaft frage ich mich, wo die Kraft der Liebe ihren Platz hat. Langfristige Partnerschaften, Familien- und Arbeitsbeziehungen und Freundschaften erfordern unglaubliche Geduld und Mut, wenn sie wachsen und gedeihen sollen, und solche Tugenden sind umso schwerer erreichbar, wenn ich nur ständig an meine Work-Life-Balance denke.
Eine weitere wichtige Bemerkung machte Mutter Teresa nach ihrer Rückkehr von einem Besuch in Nordamerika: „Die Menschen in Indien sind sehr arm. Aber dort, wo ich war, sind die Menschen noch viel ärmer.“ Intuitiv wusste ich, was sie meinte. Ich bin Euro-Amerikaner, und wenn ich mir das Ausmaß an Hass, Gewalt und Einsamkeit ansehe, das sich dort täglich zeigt, kann ich sagen, dass es dort, wo ich herkomme, eine ernsthafte geistige Armut gibt. Wenn wir wieder verstehen, was es heißt, innerlich reich zu sein, und erfahren, wie das die Welt um uns herum verändert, werden wir zuversichtlicher, dass die komplexen Schwierigkeiten, mit denen wir in der äußeren Welt konfrontiert sind, überwunden werden können, und dass nicht nur wir, sondern auch andere das schaffen können.
Indien hat große Probleme. Es gibt Gewalt, es gibt Umweltverschmutzung, und es gibt auch Hass. Aber ich habe dort Menschen gefunden, die etwas von Liebe vermittelten, das ich zu Hause entweder nicht kannte oder nicht erkannt hatte. In gewisser Weise bereichern diese Erfahrungen mein heutiges Leben in dem Schweizer Dorf Waldstatt.
Jenseits des Wunsches, besser zu sein als andere, jenseits des Wunsches, jemand anderem die Schuld für unsere Probleme zu geben, und jenseits der Work-Life- Balance gibt es einen reinen und starken Drang in uns Menschen, uns um die Erde und die Lebewesen auf ihr zu kümmern. Manchmal müssen wir wirklich durchhalten und lieben, bis es weh tut, egal wo wir sind.
Der Herbst ist in der Nordostschweiz angekommen. Die Farben sind herrlich, die Luft ist klar und frisch, und der Säntis ist wieder mit Schnee bedeckt. Ich genieß meine erste Herbstsaison hier wirklich.
Erst letzte Woche sonnte ich mich an einem viel wärmeren Ort, an der Küste von Portugal. Die Weite des Meeres, der Geruch des Salzwassers und das Gefühl, es auf der Haut zu spüren, die intensive Bewegung von Wind, Wellen und Wolken, die farbenprächtigen Sonnenuntergänge und die Sterne in der Nacht durchdrangen mein Wesen. Ich bewegte mich langsamer und fühlte mich tief mit allen Naturelementen verbunden. Der frühe Oktober war eine starke Zeit der Vitalisierung.
Ich nahm auch meine erste Surfstunde. Meine Frau war viele Jahre lang Surferin und wollte wieder damit anfangen. Ja, ich bin in Südkalifornien in Strandnähe aufgewachsen, also könnte man annehmen, dass Surfen für mich so etwas wie Fußball für die Deutschen ist. Aber ich liebte andere Sportarten und hatte nie versucht, eine Welle mit einem Brett zu reiten. Meine Freunde in der Corona del Mar High School surften vor der Schule und schliefen oft tagsüber während ihrer Kurse. Ich erinnere mich noch gut daran, wie sie vor Erschöpfung den Kopf auf die Schulbank legten und sogar im Unterricht schnarchten. Die Lehrer konnten nicht viel dagegen tun!
Wenn ich morgens früh aufwachte, lernte ich. Ich wollte auf die Universität gehen. Meine Freunde wollten ihr Leben dort, wo sie waren, in vollen Zügen genießen. Ich empfand sie als mutig. Ich beneidete sie, sogar um ihr Schnarchen.
Nach meinen ersten Stunden in den Gewässern vor der Küste des Alentejo war ich sehr müde und hatte Schmerzen. Ein paar Tage später nahm ich eine zweite Unterrichtsstunde und war viel entspannter. Außerdem hatte ich danach weniger Muskelkater. Ich glaube, das lag daran, dass ich ein paar Dinge gelernt habe, und diese Dinge gelten für das Leben im Allgemeinen, also möchte ich darüber schreiben.
In meinem letzten Blog habe ich über das Verweilen im Leerlauf geschrieben. An jenem ersten Tag, als ich versuchte, eine Welle zu erwischen, hatte ich keine Zeit, passiv zu bleiben. Ich habe versucht, alles richtig zu machen.
1. Paddeln
2. Hochdrücken, wenn du die Welle hast
3. Hinteres Bein anheben und stabilisieren
4. Aufstehen, Beine anwinkeln und nicht nach unten schauen!
Nun, ich bin nie aus dem Wildwasser herausgekommen, aber der Atlantik bietet guten Schub im Wildwasser, also habe ich einige Fahrten gemacht. Und was ich lernen musste, was wirklich wichtig und nicht einfach war: beim Paddeln nach oben zu schauen, während des ganzen Prozesses in Richtung Strand zu schauen, in die Richtung, in die ich fuhr. Aber am wichtigsten ist es, zu warten, zu spüren, wie die Welle mich mitnimmt, bevor ich handle. In der Tat war ein Paddeln im Leerlauf erforderlich!
An diesem ersten Tag war es viel zu einfach, sich über meine Technik Gedanken zu machen, über das schwache rechte Knie, über die Platzierung des Fußes, darüber, dass ich in den letzten Monaten nicht genug Liegestütze gemacht hatte, was es mir unmöglich machte, eine anständige Fahrt hinzulegen. Ich orientierte mich immer wieder an meinen Schwächen und schaute nach unten. Und ich fiel, und fiel, und fiel. Das Brett flog, und flog, und flog. Ich hatte zwar Spaß, aber es war sehr anstrengend. Mein braungebrannter, langhaariger Surflehrer Diogo sagte immer nur, „Schauen Sie nicht nach unten. Es wird leichter sein.“
Die zweite Erfahrung zwei Tage später war ganz anders. Ich versuchte, mir nicht so viele Gedanken darüber zu machen, was mein Körper tat, und konzentrierte mich darauf, „nach unten zu fühlen“, zu spüren, wie die Welle mich mitnahm, während ich nach vorne sah. Ich schaute nach vorne und vertraute darauf, dass mein Körper unten folgen würde. Und das Gute geschah ziemlich schnell, ich war oben und konnte ein paar Ritte ans Ufer machen. Es war fast zu einfach. Es war, als ob der Atlantik mich auf eine Reise mitnahm. Er lenkte mich. Er wollte, dass ich etwas Spaß habe. Meine Surfversuche klappten nicht immer wie Poesie in Bewegung, aber die erlebten Momente der Stabilität waren eindeutig.
In dem, was ich in Portugal erlebt habe, liegt etwas Wichtiges. Ich habe zwar vor, regelmäßig Liegestütze zu machen und bald wieder zu surfen. Aber wichtiger ist für mich heute, darüber nachzudenken, wie diese Haltung des Abwartens, der Entspannung und des Vertrauens, des Blicks nach vorne, mit dem Kopf in der Gegenwart und nicht nach unten in Überlegungen über richtig und falsch, stark und schwach, gut und schlecht, Vergangenheit und Zukunft, mich die Unterstützung einer größeren Kraft spüren ließ. Es war eine Kraft vorhanden, die mich mitnehmen konnte und es mir ermöglichte, ganz leicht aufrecht zu werden. Ich konnte gleiten, lächeln und genießen.
In Amerika stehen die Wahlen vor der Tür. Im Nahen Osten findet ein katastrophaler Krieg statt, und weitere Konflikte sind im Anmarsch. Hier in Europa zieht ein langwieriger Kampf Milliarden von Dollar aus den Taschen der Menschen und schadet Millionen von Menschenleben. Als Kollektiv lebt ein Großteil der Menschheit in sehr angespannten Zeiten.
Unser individuelles Leben hat unvermeidliche Herausforderungen. Der Körper altert, wir erleben, dass Freunde und Verwandte krank sind. Menschen, die uns am Herzen liegen, haben schwierige Situationen zu bewältigen und brauchen Unterstützung. Es ist leicht, nach unten zu schauen, anderen die Schuld zu geben oder sich frustriert, überfordert und hilflos zu fühlen.
Aber ja, wir versuchen trotzdem, der Welt zu helfen. Wir tun unser Bestes. Trotz all unserer körperlichen und emotionalen Schwächen, unserer Ablenkungsmanöver und unserer unvollkommenen Persönlichkeiten versuchen wir, den Blick nach vorn zu richten, unsere Aufmerksamkeit nach oben und nach vorn zu richten und zu vertrauen. Wir haben die Fähigkeit, aufzustehen, unseren Fluss zu finden und anderen zu helfen, ebenfalls aufzustehen und ihren Fluss zu finden. Wir möchten, dass die Menschen in dieser Welt dieses belastbare Vertrauen, dieses Gleiten, diese Freude am Leben spüren. Letztendlich wollen wir den Mut haben, wieder aufzustehen und uns mit dieser größeren Kraft zu verbinden, die uns (und andere) in die Richtung tragen kann, für die wir bestimmt sind, egal, wie oft wir abstürzen und uns überschlagen.
Ich glaube, meine High-School-Freunde wären überrascht, wenn sie wüssten, dass ich surfen gehe. Ich bewundere sie immer noch und hoffe, dass sie in der Lage sind, die Herausforderungen des Lebens mit der Zuversicht zu meistern, die sie an jenen frühen Morgen vor vielen Jahren hatten. Ich hoffe, Sie können das auch!
Nach wie vor erfreuen die wunderbaren Landschaften hier in der Schweiz meine Sinne. Berge, Seen, Flüsse, grüne Felder und auch Gärten voller großer, bunter Blumen, ursprüngliche Bauernhäuser und kleine Herden grasender Kühe ziehen die Blicke auf sich und begeistern das Auge.
Wenn ich darüber nachdenke, warum das so ist und was es bedeutet, diese Schönheit und Verbundenheit erkennen und spüren zu können, überlege ich oft, ob vielleicht durch das Fehlen gewaltsamer Konflikte, von denen dieses Land in der Neuzeit verschont blieb, die Resonanz von natürlichem Frieden in mir und in der Natur um mich herum so stark präsent werden kann.
Frieden – wenn wir ihn nicht in uns selbst spüren, woher sollten wir dann wissen, wie er zwischen verfeindeten Gruppen und Ländern auf dieser Welt zustande kommen kann? Wissen wir, wie Frieden innerhalb unserer Familien, im Umgang mit unseren Kollegen oder Nachbarn geht? Wie erfahren wir den Frieden, wie erkennen wir ihn, wie beteiligen wir uns an ihm? Das möchte ich schon seit langem verstehen.
Die Schweiz ist für die neutrale Einstellung ihrer Regierung bekannt. Gemäß ihrer Verfassung wird sie bei einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen zwei anderen Ländern nicht zu den Waffen greifen. Die Schweizer selbst erwähnen dies häufig und nicht selten schicken sie einige Kommentare hinterher, in denen sie klarstellen, dass sie sich der faulen Kompromisse schon bewusst sind, für die ihre Regierungen in der Vergangenheit verantwortlich waren und sich dabei doch weiterhin als ‚neutral‘ bezeichneten. Und doch bemerke ich einen gewissen Stolz auf diese Neutralität, die die Schweizer Mentalität prägt. Viele, vermutlich die Mehrheit der Schweizer würden darin übereinstimmen, dass es nicht besonders klug ist, einzugreifen, wenn zwei andere ein Problem miteinander haben und dass es friedliche Lösungen gibt.
Frieden. Für einen Amerikaner klingt dieses Wort überholt, wie eine Hippie- Wunschvorstellung. Doch nein, ich weiß, dass sich Millionen von Amerikaner dafür einsetzen. Um das zu unterstützen, möchte ich zeigen, dass sich gerade aus einer neutralen Haltung Vorteile ergeben können, wie eben beispielsweise die Fähigkeit, auf diesem Planeten friedlich zusammenzuleben. Das spüre ich hier im Appenzeller Land, in meiner eigenen Lebensqualität und in der der Menschen, denen ich täglich begegne. Was bedeutet es, neutral zu sein?
Neutralität hat für den Einzelnen eine sehr tiefgehende Bedeutung. Sie bedeutet nicht nur, keine Partei zu ergreifen. Sie bedeutet nicht, sich stets mit einem Buddha-gleichen Lächeln auf dem Gesicht ruhig zu verhalten. Es handelt sich bei ihr nicht um einen stoischen Zustand, in dem Gefühle keine Rolle spielen. Neutralität ist vielmehr die klare Bewusstheit darüber, dass es eine Vielzahl von Perspektiven gibt. Wenn wir uns nicht an unsere innere Gedankenwelt voll von Begründungen und Rechtfertigungen, von Vorlieben und Abneigungen, von der Einteilung in Freunde und Feinde klammern und uns wirklich für die anderen Menschen interessieren ohne dass Meinungen unsere intuitive Kraft vernebeln, dann können wir ganz natürlich einen energetischen Zustand der Neutralität erreichen, der weder Stillstand noch bloße Passivität bedeutet. Das verwechseln wir nicht. Neutralität ermöglicht es den Dingen, lebendig zu bleiben, zu wachsen, sich zu beruhigen, zu heilen und machtvoll zu werden.
Im Auto gibt es dieses große ‚N‘. Fast alle Autos, die ich in Japan und in Europa gefahren bin, hatten ein Schaltgetriebe. Hier schaltet man bewusst von einem Gang in den anderen, doch das geht nicht, ohne zumindest für einen kurzen Augenblick in einen Zustand von ‚Neutralität‘ einzutreten. Autos ohne Schaltknüppel scheinen den Leerlauf zu überspringen und fast alle Autos, die ich in den USA gefahren bin, hatten Automatikgetriebe. In einem Artikel über Autos in Google steht sogar, dass ‚Neutral‘ in Automatik-Wägen ein gefährlicher Gang sei. Man verliert die Kontrolle. Aber ich mag es, ein bisschen im Leerlauf zu verweilen, wenn ich hier in Europa ein Auto mit Schaltgetriebe fahre. Es fühlt sich gut an, nicht ununterbrochen einen Gang eingelegt zu haben.
Wäre es nicht an der Zeit, der ‚Neutralität‘ etwas Platz einzuräumen? Nicht in erster Linie in einem politischen Sinne, sondern in einem physischen, psychologischen und energetischen. Ein Baum hat Äste. Wir identifizieren den Baum anhand seiner Blätter und Blüten und anhand der Form seiner Äste. Doch was gibt diesem wunderbaren Baum tatsächlich Lebendigkeit? Wo liegt seine Schönheit begründet? Licht, Wasser und Luft erreichen den Baum durch die Blätter und die Rinde, aber die Bewegung und Umwandlung dieser Elemente in Energie muss durch eine Verbindung zu den Wurzeln geschehen. Dazu geht es durch die Mitte, den Rumpf, den Stamm, die Innereien und das Herz. Das ist ein unsichtbares neutrales Gebiet, in dem nichts durch unsere Sinne so einfach wahrgenommen werden kann, in dem sich jedoch wirklich alles bewegen muss, um wirklich Energie und Kraft zu transformieren. Wir Menschen funktionieren auf diese Weise und die Tiere ebenso.
Wir Menschen können mit diesen inneren Bewegungen in Berührung kommen. Wir können sie beobachten, unterstützen und weiterentwickeln. Im Lauf unserer Geschichte haben wir Euro-Amerikaner uns zwar gerne als Individualisten bezeichnet, uns jedoch oft von überstürzten Aktionen, Erklärungen und dem Rat von Experten leiten lassen. Weil alles so komplex ist, verlieren wir leicht das Vertrauen in unsere Fähigkeit, spüren zu können, was tief in uns drinnen los ist. Entscheidungen fallen uns schwer. Wir sitzen auf einem Ast unseres Baumes und verlieren den Kontakt zu den anderen Ästen unseres einzigartigen Baumes und schließlich auch zu unserem kollektiven Wald.
Die innere Zerrissenheit wird zur äußeren. Das geschieht überall. Viele von uns Amerikanern sehen sich mit einem Dilemma konfrontiert, einem Gefühl des Stillstandes. Wir wollen so gerne etwas wissen, vorankommen, an die Spitze gelangen, irgendwas erreichen, das wirklich perfekt ist. Für viele ist das heutzutage ein sehr frustrierendes Gefühl.
In dem Artikel über Automatikgetriebe, den ich schon erwähnt habe, heißt es: „Benutze Neutral, wenn dein Auto irgendwo feststeckt.“ Ich mag diesen Satz. Wenn die Dinge nicht so geschmeidig laufen, in den Leerlauf zurückkommen, atmen, aufhören, die Dinge in diesen oder jenen Gang zwingen zu wollen, beobachten, loslassen. Wo bewegen sich Dinge von selbst, ohne unser Zutun?
Diese Neutralität bedeutet nicht aufzugeben. Wir lernen zu vertrauen und Vertrauen fühlt sich wunderbar an. Es hebt unsere Lebensfreude. Wir erholen uns und sind bereit, große Schwierigkeiten mit Mut und Kreativität anzugehen. Diese Qualitäten werden nicht durch einen erschöpften oder ‚getriebenen‘ Verstand hervorgebracht. Sie entstehen aus der Verbindung zu unserem gesamten Menschsein, zu unseren Wurzeln als energetische, lebendige Wesen, die wir Teil der Gesamtheit aller anderen Lebewesen sind. Im Zentrum steht die Liebe. Und von hier aus möchte ich, ein Amerikaner, die Welt sehen, von hier aus möchte ich mit und für andere arbeiten, von hier aus möchte ich mein Leben genießen.
Ich hoffe, immer besser darin zu werden, neutral zu sein, nicht zu beurteilen, nichts zu erzwingen, mich nicht einzumischen, wo es nicht nötig ist. Und hoffentlich kann ich die daraus entspringende Lebensfreude und Zuversicht mit meiner Familie, meinen geliebten Amerikanern und mit der ganzen Welt teilen.
Es gibt hier so viel echte natürliche Schönheit! Und es ist so, wie das japanische Sprichwort sagt: „Wo auch immer ich bin, da ist mein Dojo!“; überall da, wo ich achtsam bin und tatsächlich erfahre, was ich jemals gelernt, geübt, verstanden und gesehen habe. Harada Roshi, mein Zen-Meister, pflegte eine drehende Bewegung mit seinen Händen zu machen und dazu mit seiner tiefen Stimme die Worte „Washing mind, washing mind“ zu wiederholen.
Ich lächle derzeit häufig. Ich bin tief berührt von den magischen und erhellenden Energie-Kräften, die ich bei jeder neuen Wanderung in den Bergen hier in unserer Ecke der Schweiz erleben darf. Ich genieße es, an einem schönen Ort zu leben.
Aufgewachsen bin ich in der Nähe von Disneyland in Südkalifornien, einem Ort, an dem die Menschen auch Glück suchen und es vielleicht sogar finden. Ich war bestimmt fünfzig Mal dort. Doch als Jugendlicher und als junger Mann empfand ich es als nicht einfach zu lächeln, nicht in Disneyland, nicht für die Kamera und vor allem nicht vor dem Spiegel. Mein Innenleben war sehr ernst, voll von Zweifeln über mich selbst, über den Zustand der Welt und später auch über den Zustand meines Landes. Aus verschiedensten Gründen erschien es mir eher furchteinflößend als ermutigend, über meine eigene Zukunft und die der Menschheit nachzudenken.
Eine lange und wechselvolle Reihe von Ereignissen hat mich jetzt in dieses Land geführt. Ein Land, das berühmt ist für seine Kühe, seinen Käse, seine Banken – und für seine Natur! Viele Menschen haben in der Schweiz Zuflucht gesucht und vielleicht ist es bei mir genauso. Die Natur verhilft dem Geist zu mehr Klarheit. Führt Klarheit zum Glück?
Einige der Menschen, die mein Leben in jungen Jahren maßgeblich beeinflusst haben und mich immer noch durch ihren klaren Lebensstil beeindrucken, stammen aus diesem Land oder haben über Jahre hier gelebt. Sie waren außergewöhnliche Persönlichkeiten und sind bewundernswerte Vorbilder für mich. Einige von ihnen möchte ich erwähnen:
Jean-Jacques Rousseau wurde in Genf geboren und entdeckte seine enge Verbindung mit der Natur am Bieler See. Sein Edler Wilder inspirierte mich 1981 dazu, das College abzubrechen und zum Matterhorn im Südosten der Schweiz zu reisen (es war dort viel kälter, als ich erwartet hatte und ich kehrte ernüchtert und mit dem Ziel, Deutsch zu lernen an die UCLA zurück).
Friedrich Nietzsche, den ich als Geschichts-Student an der UCLA für mich entdeckte, half mir (und vielen anderen), mein Denken ‚jenseits von Gut und Böse‘ auszudehnen. Er verbrachte seinen Lebensabend in Sils-Maria und suchte zur Unterstützung seines Denkens und Schreibens gerne energiegeladene Orte auf.
Hermann Hesse verließ ebenfalls sein Heimatland Deutschland und ging in die Schweiz. In seinen in Montagnola unweit des Luganer Sees verfassten Schriften versuchte er alles, um die zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebenden Deutschen zu überzeugen, etwas Besseres zu sein als bloße Soldaten und Kriegsknechte. Diese Männer waren nicht in der Lage ihm zuzuhören. Erst spätere Generationen konnten, nachdem sie ihn gelesen hatten, eine tiefere Sicht auf das Leben entwickeln und sich von materialistischen und militaristischen Ideen abwenden. Ich hörte ihm zu.
Rudolf Steiner lieferte bahnbrechende und umsetzbare Erkenntnisse für die Bereiche Medizin, Landwirtschaft, Erziehung und Kunst. Seine ‚inklusiven‘ Gemeinschaften waren wichtige Informationsquellen für mich bei meiner Arbeit im sozialen Bereich. Er errichtete das Zentrum seiner anthroposophischen Bewegung in Dornach. Seine Lehren zur Menschheitsgeschichte haben mein Verständnis von Evolution und Fortschritt immens erweitert.
Jiddu Krishnamurti stellte, als ich sechzehn war, mein Leben auf den Kopf mit dem Buch ‚Du bist die Welt‘, in dem die kritischen, leidenschaftlichen und kompromisslosen Einsichten seines hellsichtigen Verstandes weitergegeben wurden. In den Jahren 1961 bis 1985 kam er regelmäßig nach Saanen in der Schweiz, um zu lehren und auch, um sich zu erholen. Ich durfte zwei Vorträge von Krishnamurti in Ojai, Kalifornien besuchen und die Klarheit seines Auftretens beeindruckt mich noch heute. Für mich war er jenseits von meinem reinen Buchwissen der erste lebende Beweis, dass die Stille lebt und dass menschliche Wesen ein wahrhaft tiefes und schönes Leben führen können.
Mario Mantese, Meister M ist ein ganz besonderer Weisheitslehrer der heutigen Zeit. Als junger Mann verließ er seine Heimat in der Schweiz, um Bassist bei der Soul-Funk-Band Heatwave zu werden. Nach einer transformierenden Nahtod-Erfahrung, begann er zu schreiben und Begegnungen mit ihm auf der ganzen Welt anzubieten. Ich habe das Glück, seine Zusammenkünfte in Winterthur und Biel besuchen zu dürfen. Ich habe einige seiner Bücher übersetzt - mit dem Wunsch, noch tiefer mit seinen Lehren von der ‚reinen Liebe‘ in Berührung zu kommen. Mario und die Arbeit von Meister M zeigen mir jeden Tag, dass es möglich ist, ein ‚normales‘ Leben in der Welt zu führen und zugleich unser spirituelles Bewusstsein zu vertiefen. Licht und Liebe sind unsere Grundlage, aus der heraus wir leben können.
Dies sind einige meiner Mentoren. Ich finde sie bemerkenswert und sie erinnern mich stetig daran, wie großartig und klar unser Geist sein kann. Sie haben mir geholfen, gute Fragen zu stellen und meinen Verstand sowie mein Herz auf gute Bahnen zu lenken. Sie spiegeln mir wider, dass jedes einzelne Leben von großer Bedeutung sein kann. Die tiefen Qualitäten des menschlichen Herzens selbst zu erfahren und mit anderen zu teilen bedeutet mitzuhelfen, die Rohheiten und Grausamkeiten zu überwinden, die unser menschliches Kollektiv immer noch in einem defensiven Überlebensmodus festhalten.
Es fühlt sich gut an, in der Schweiz zu sein und mich selbst aufrichtig lächeln zu sehen. Wir brauchen sicherlich nicht ununterbrochen zu lächeln. Doch ich hoffe, du kannst geistige Klarheit spüren, so dass du ein ganz natürliches Lächeln zeigen und das, was dahintersteckt, mit anderen teilen kannst – ganz egal, wo du bist. Die Orte und die Menschen, die dich geliebt und inspiriert haben, leben in diesem Lächeln weiter. Das ist wunderschön!
Neulich haben meine Frau und ich eine wunderschöne Wanderung in den Bergen unternommen. Viele kennen dieses Gefühl von Zufriedenheit, wenn sie einen steilen Pfad erklommen haben und an einem klaren Bergsee angekommen sind, und auch ich durfte das an diesem Tag erleben. Die Erhabenheit und die majestätische Ruhe des mächtigen Alpstein-Massivs ließen meinen Geist schweben. Ohne Schwierigkeiten fühlte ich mich mit meinem Atem und mit der Erde verbunden. Gleichzeitig fühlte ich eine Zuneigung zu all den Lebewesen auf dieser Erde, vor allem zu den Bergkröten, die immer wieder ihre Augen über die Wasseroberfläche reckten, gerade so als ob sie sich über eine Plauderei freuen würden.
Mit meiner Frau zusammen trank ich an diesem Tag am Ufer des Fählensees (ein See inmitten der Gipfel des Appenzeller Landes, wo wir wohnen) eine Schale Matcha-Tee, was mein Herz und meine Sinne mit noch mehr frischer Energie erfüllte. Eine Kraft tief in meinem Inneren sank mit dem grünen Tee hinunter ins Wasser des Sees. Meine Augen schienen über die Grenzen meines Körpers hinauszuwachsen und die machtvolle Ausstrahlung der schneebedeckten Gipfeln, gesäumt von federleichten Wölkchen am Aprilhimmel, einzusaugen. Was für ein fantastischer Ort, um dieses wunderbare Dasein einzuatmen und aufzunehmen!
Ich habe in meinem ersten Beitrag zu diesem Blog erwähnt, dass es für mich wichtig ist anderen zu helfen. Ich frage mich aber auch, was hilft wirklich? Wie helfen wir anderen tatsächlich? Ich kann diesen Moment am See sehr genießen. Doch wenn ich dann wieder weggehe, kann ich dann wirklich irgendjemandem in dieser komplexen Welt helfen?
Ich bewährte mich schon in jungen Jahren als ‚Helfer‘, als Pfleger für meinen älteren Bruder Michael, der an Duchenne Muskeldystrophie litt. Seinen Rollstuhl zu schieben, seine Beine zu massieren und seinen geschwächten Körper zur Toilette oder ins Bett zu tragen, waren für mich als Zwölfjährigen ganz selbstverständliche Aufgaben geworden. In dieser vertrauensvollen Atmosphäre von Brüderlichkeit fühlte ich mich sehr nützlich und eng verbunden mit jemandem, den ich liebte.
Es hat nicht immer Spaß gemacht, ein Helfer zu sein. Als Kinder und Teenager haben mein Bruder und ich dauernd gestritten. Aber ich wollte niemals, dass er leidet. Wenn ich ihn getragen habe, bin ich sicher manchmal unabsichtlich mit seinem Fuß an einen Türrahmen gestoßen und wenn ich ihm einen Schuh ausziehen wollte, habe ich seinen Knöchel vielleicht manchmal ein bisschen stark verdreht. Doch wir konnten uns beide diese Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens bewahren. Mein Halten war sanft und gleichzeitig sehr fest und Michael beschwerte sich nie über meine Arbeit. Er bedankte sich oft bei mir.
Als ich das erste Mal von Michaels Diagnose erfuhr, wollte ich ihn retten. Seine Krankheit war fatal. Er würde im Alter von 14 bis 20 Jahren sterben. Ich dachte, ich könnte irgendetwas tun, um die Lage zu verändern oder leichter zu machen. Ich denke, hier liegt die Wurzel meiner Suche, meiner Sehnsucht, Menschen zu helfen, die düsteren Vorstellungen von Krankheit und Tod zu überwinden.
Inzwischen kann ich leicht erkennen, wie der Buddhismus in mein Leben trat. Ich sehe auch, welch großartige Unterstützung seine Lehren und Übungen für mich sind und waren. Der Buddha sah den menschlichen Zustand als Leiden an, solange diese Überwindung von Anhaftung an den Körper und sein Vergehen nicht bewusst erfahren wird. Das ist der Weg eines Bodhisattva im Mahayana-Buddhismus. Er möchte das menschliche Leben durch Gewahrsein und Bewusstwerdung verbessern und er möchte dies mit anderen teilen. Es gibt mehr als Leben und Tod, und diese Erkenntnis kann unser Sein transformieren heraus aus völliger Selbstbezogenheit hin zu einem Leben in immer stärkerer Herzverbindung zu allen Lebewesen
Wenn ich über diese Momente von inniger Verbundenheit und gegenseitiger Unterstützung während meiner Kindheit als Michaels Pfleger nachdenke, dann merke ich, dass sie eigentlich kurze, stille Meditationen waren. Es waren konzentrierte rhythmische Tänze, die uns beide mit einem größeren Vertrauen in den Sinn des Lebens bereicherten. Wir liebten und wir vertrauten. Und genauso habe ich mich am See mit meiner Frau und den Fröschen gefühlt.
Nach den Jahren mit meinem Bruder fiel es mir nicht leicht, dieses Gefühl der Verbundenheit mit mir selbst oder einer anderen Person wieder zu verspüren. Und doch hat sich mit der Zeit etwas verändert und es sind gute Dinge geschehen. Ich erwarte nicht mehr, meine Sehnsucht nach Transzendenz zu erfüllen, indem ich ein Buch lese oder einen Workshop besuche, in ein fremdes Land reise oder eine bestimmte Person treffe. Transzendenz entsteht von innen heraus und bringt die Neigung des Verstandes, sich zu sorgen, Probleme zu lösen, etwas in Ordnung zu bringen oder auszugleichen, zur Ruhe. Ich erlebe Wut, Tränen und Leid, aber immer verbindet mich ein Licht mit denen, die ich vermisse, die ich verloren habe.
Michael verließ diese Welt 1985. Er war ein äußerst intelligenter und großherziger Mensch, aber er konnte der Bösartigkeit seiner Krankheit nicht entgehen und starb mit 24 Jahren. Während seines Lebens, denke ich, geschah Heilung. Ich nehme Michaels Präsenz jetzt als Lichtstrahl wahr, der durch meine eigene Person strahlt. Ich möchte bald mehr über Michael schreiben.
Vermutlich habe ich aufgrund meiner Familiengeschichte ein ‚Helfersyndrom‘ entwickelt. Doch mit wirklicher Hilfe von anderen, die das Transzendente sehr tiefgehend kennen, konnte ich den ‚Helfer‘-Weg einschlagen, der mich zu diesem Moment an den See in diesen prachtvollen Bergen mit meiner wunderbaren Frau und den neugierigen Fröschen gebracht hat. Es ist so ein Moment wie jene vertrauensvollen, innigen Momente, die ich aus meiner Kindheit mit meinem Bruder Michael kenne. Solche Momente teilen zu dürfen, ist sehr erfüllend.